Gnadenhof der Namenslosen
Die Nebendarsteller des Lebens.
Intro: Es gibt Menschen, die an einem vorübergehen und Menschen, die bleiben. Und da sind noch diese Niemandsländer; Menschen, die einen kurzen Augenblick auftauchen und wieder abtauchen, ohne je wieder gesehen zu werden. Ihnen soll hier ein Denkmal gesetzt werden. Den Leuten, die frei nach Andy Warhol für 15 Minuten weltberühmt sind - im Leben eines anderen Menschen.
1: Der Mann mit dem Hund.
Der Hund war braun und sein Herrl hatte ein rot-weisses Gesicht, wie einer mit hohem Blutdruck. Der Mann war ein Bauarbeiter, der vor unserem Haus die Straße asphaltierte. Sie arbeiteten einige Tage oder Wochen (für einen 4jährigen ist alles lange) und - wieso auch immer - hatte er einen kleinen, braunen Hund mit. Wir waren Freunde und ich war sein Aufpasser. Doch dann wurde die Straße weitergezogen, und auch der Hund zog mit und verschwand aus meinem Leben.
2: Der Filmvorführer und sein Sohn.
1500 Meter von unserem Haus entfernt, aber in direkten Blickkontakt stand das Heim eines rüstigen Pensionisten. Wir waren einmal bei ihm, weil er uns seinen Filmvorführ-Apparat borgte. Ich staunte über die Reise-Bilder an der Wand und war so was wie der erste Grand Seigneur meines Lebens. Später nahm mich sein Sohn manchmal mit einem VW Bus zur Schule mit . Bis er nicht mehr kam, er war am Tag davor vom Dach gestürzt und gestorben.
3: Der Besuch der alten Dame.
Es war der heisseste Sommer meines Lebens gewesen - klimatisch. Wir schwitzten im Büro und schleppten unsere Leiber lustlos durch die Zimmer.Plötzlich stand sie in der Tür, mit einem Billa-Sackerl in der Hand. Sie fragte, ob sie hier richtig sei und sprach von den bösen Menschen und den guten Tieren, und davon wie die ersteren zu den zweiteren seien. Sie stellte das Billa-Sackerl auf dem Schreibtisch ab und redete davon, das ihre Katze unter einem Auto zu Tode gekommen war und wie abscheulich das sei. Jimmy. mein Kollege, redete mit ihr laut und überbetont, weil er sie für nicht ganz richtig tickend hielt; so wie man einer Uhr nicht mehr traut, nachdem sie einmal stehengeblieben ist. Plötzlich schoß sein Blut ins Gesicht, er packte die Frau an der Hand und fauchte sie an: "Nehmen sie den Sack und gehen sie sofort raus. Los raus." Erst als sie draussen war, schimpfend und fluchend, hatte ich verstanden. Die Frau hatte die niedergefahrene Katze wie ein Puzzle zusammengeflickt und das blutende mausetote Katzen-Tier im Billa-Sackerl zu uns gebracht.
4: Der Mann mit dem Hut
In der Grazer Stempfergasse sah ich einen Mann mit einem neugekauften Hut vor einer Auslage stehen und sich selbst bewundern. Es war ein herrlicher Anblick, sowohl die Szenerie als auch der Mann und ich war kurz im Wien um 1870, als man seine Garderobe noch ausführte wie einen eleganten Hund.
5: Der Wegweiser von Leibnitz
In der Südsteiermark bog ich mal, was öfters vorkam, zweimal falsch ab und plötzlich fand ich mich in einem Dorf wieder, das nicht zu existieren schien. Es gab Häuser, Höfe, Gärten, aber kein lebendiger Mensch schien hier noch zu sein. Bis plötzlich ein alter Mann im Steirer-Gewand vor mir erschien, mitten auf der Kreuzung stehend. Ich fragte ihn nach dem Weg nach Leibnitz und er zeigte mit der Hand nach rechts und sagte: "Nach links."
Mir war, als ob der uralte Witz bei Kino-Verfolgungsjagden mit der verdrehten Verkehrs-Richtungstafel Mensch geworden war und er war ein Steirer und über 70 Jahr.
6: Die Genserin.
Die ersten Tage meines ersten Schuljahres war da ein Mädchen, das alle nur "die Genserin" nannten. Sie war als Außenseiterin in die Klasse gekommen und nach ein paar Wochen war sie wieder weg. Wir sprachen nicht mit ihr und einige Kollegen wußte nur, dass sie in einem alten verfallenen Haus wohnte und das dieses Haus verflucht sei. Und wirklich: Ich hab sie nie mehr gesehen.
7: Der gestrandete Kapitän
Wir waren besoffen und lustig, zumindest aber halblustig. Es war kurz vor 5 und die Stadt stand langsam wieder auf. Wir faselten irgendwas auf englisch und er bog quer von der Luxus-Geschäftsstrasse, die in der Nacht auch den Armen gehört, ein. Er war ein Penner und betrunken und wir fanden es in diesem Augenblick richtig, mit ihm zum Würstelstand zu gehen und ihn an unserem Wohlstand teilhaben zu lassen. Es schmeckte ihm und er aß gleich zwei Käsekrainer und redete davon, dass wir nicht glauben sollten, er sei immer ein Sandler gewesen. Er sei ein guter Schüler gewesen und er habe eine tolle Frau gehabt - aber die Reiselust hatte ihn besiegt. Er heuerte auf einem Schiff an und bereiste die Meere. Das Leben war wie ein Rausch gewesen. Als er in den Heimathafen zurückkehren wollte, war es zu spät. Die Frau war weg, die Heimat wirkte fremd und nur der Rausch war ihm treu geblieben.
8: Meine Nacht mit einem Star.
Es war eine meiner ersten Nächte in einer echten Stadt gewesen und der Alkohol hat die Erinnerung an die ersten zwei Drittel der Nacht wie weggewischt. Ich weiß nur noch, dass wir irgendwann zu dritt waren - ein Star, eine schöne Frau und ich. Die Welt lag ihm zu Füssen und wir taten es auch. Ich kannte seinen Namen aus dem Fernsehen und dem Radio und sie war bereit zu allem und er predigte für uns und schmiß die Runden: er weihte uns in die Geheimnisse seiner Karriere ein und warum alles noch besser werden würde. Immer wieder tauchten attraktive Gestalten meist weiblicher Natur auf und fassten ihn an, leicht besitzergreifend und anhimmelnd. Er war das Schatzi und er war ganz oben und wir schwammen auf der Laune seines von ihm bezahlten Sekts mit. Am Ende brachte er mich heim und dann fuhr er mit ihr zu ihr und man konnte spüren, wie sie morgen fünf Sterne in ihr Tagebuch schreiben würde - für eine Nacht mit einem Fünf-Sterne-Star der Stadt.
Das ist 17 Jahre her und 2 Jahre ist es her, dass ich ihn wiedersah. Er trug ein ähnliches Sakko wie damals, nur es schien kleiner geworden. Seine Augen drehten sich und er lehnte an der Wand, die einzige, die ihm Halt gab. Er war doppelt so besoffen wie damals und nicht einmal ein Zehntel so begehrt und plötzlich fiel mir auf, wie klein er war - das heisst, erst nachdem ich mich erinnert hatte, wer er war. War da nicht mal eine Notiz wo gewesen, dass er sich im Einvernehmen von seinem Ruhmgeber getrennt hatte? Er sah mich an und doch hindurch. Es heisst immer:
Man solle immer alle grüßen am Weg nach oben, den am Weg nach unten kommt man an ihnen vorbei. Er hatte sie am Weg nach oben alle gegrüsst. Nur am Weg nach unten sah er sie nicht mehr.
Frei nach Falco war er 1988 ausgegangen und noch nie heimgekehrt. Doch die Bilder vor seinen Augen waren noch Jahrgang 1990 und wenn er sie ganz nah vor sein Hirn hielt, verdeckte es für einen Augenblick die Sicht darauf, wie sehr sich die Welt hinter dem Bild verändert hatte. Und das keiner mehr in seinen Augen versank.
Intro: Es gibt Menschen, die an einem vorübergehen und Menschen, die bleiben. Und da sind noch diese Niemandsländer; Menschen, die einen kurzen Augenblick auftauchen und wieder abtauchen, ohne je wieder gesehen zu werden. Ihnen soll hier ein Denkmal gesetzt werden. Den Leuten, die frei nach Andy Warhol für 15 Minuten weltberühmt sind - im Leben eines anderen Menschen.
1: Der Mann mit dem Hund.
Der Hund war braun und sein Herrl hatte ein rot-weisses Gesicht, wie einer mit hohem Blutdruck. Der Mann war ein Bauarbeiter, der vor unserem Haus die Straße asphaltierte. Sie arbeiteten einige Tage oder Wochen (für einen 4jährigen ist alles lange) und - wieso auch immer - hatte er einen kleinen, braunen Hund mit. Wir waren Freunde und ich war sein Aufpasser. Doch dann wurde die Straße weitergezogen, und auch der Hund zog mit und verschwand aus meinem Leben.
2: Der Filmvorführer und sein Sohn.
1500 Meter von unserem Haus entfernt, aber in direkten Blickkontakt stand das Heim eines rüstigen Pensionisten. Wir waren einmal bei ihm, weil er uns seinen Filmvorführ-Apparat borgte. Ich staunte über die Reise-Bilder an der Wand und war so was wie der erste Grand Seigneur meines Lebens. Später nahm mich sein Sohn manchmal mit einem VW Bus zur Schule mit . Bis er nicht mehr kam, er war am Tag davor vom Dach gestürzt und gestorben.
3: Der Besuch der alten Dame.
Es war der heisseste Sommer meines Lebens gewesen - klimatisch. Wir schwitzten im Büro und schleppten unsere Leiber lustlos durch die Zimmer.Plötzlich stand sie in der Tür, mit einem Billa-Sackerl in der Hand. Sie fragte, ob sie hier richtig sei und sprach von den bösen Menschen und den guten Tieren, und davon wie die ersteren zu den zweiteren seien. Sie stellte das Billa-Sackerl auf dem Schreibtisch ab und redete davon, das ihre Katze unter einem Auto zu Tode gekommen war und wie abscheulich das sei. Jimmy. mein Kollege, redete mit ihr laut und überbetont, weil er sie für nicht ganz richtig tickend hielt; so wie man einer Uhr nicht mehr traut, nachdem sie einmal stehengeblieben ist. Plötzlich schoß sein Blut ins Gesicht, er packte die Frau an der Hand und fauchte sie an: "Nehmen sie den Sack und gehen sie sofort raus. Los raus." Erst als sie draussen war, schimpfend und fluchend, hatte ich verstanden. Die Frau hatte die niedergefahrene Katze wie ein Puzzle zusammengeflickt und das blutende mausetote Katzen-Tier im Billa-Sackerl zu uns gebracht.
4: Der Mann mit dem Hut
In der Grazer Stempfergasse sah ich einen Mann mit einem neugekauften Hut vor einer Auslage stehen und sich selbst bewundern. Es war ein herrlicher Anblick, sowohl die Szenerie als auch der Mann und ich war kurz im Wien um 1870, als man seine Garderobe noch ausführte wie einen eleganten Hund.
5: Der Wegweiser von Leibnitz
In der Südsteiermark bog ich mal, was öfters vorkam, zweimal falsch ab und plötzlich fand ich mich in einem Dorf wieder, das nicht zu existieren schien. Es gab Häuser, Höfe, Gärten, aber kein lebendiger Mensch schien hier noch zu sein. Bis plötzlich ein alter Mann im Steirer-Gewand vor mir erschien, mitten auf der Kreuzung stehend. Ich fragte ihn nach dem Weg nach Leibnitz und er zeigte mit der Hand nach rechts und sagte: "Nach links."
Mir war, als ob der uralte Witz bei Kino-Verfolgungsjagden mit der verdrehten Verkehrs-Richtungstafel Mensch geworden war und er war ein Steirer und über 70 Jahr.
6: Die Genserin.
Die ersten Tage meines ersten Schuljahres war da ein Mädchen, das alle nur "die Genserin" nannten. Sie war als Außenseiterin in die Klasse gekommen und nach ein paar Wochen war sie wieder weg. Wir sprachen nicht mit ihr und einige Kollegen wußte nur, dass sie in einem alten verfallenen Haus wohnte und das dieses Haus verflucht sei. Und wirklich: Ich hab sie nie mehr gesehen.
7: Der gestrandete Kapitän
Wir waren besoffen und lustig, zumindest aber halblustig. Es war kurz vor 5 und die Stadt stand langsam wieder auf. Wir faselten irgendwas auf englisch und er bog quer von der Luxus-Geschäftsstrasse, die in der Nacht auch den Armen gehört, ein. Er war ein Penner und betrunken und wir fanden es in diesem Augenblick richtig, mit ihm zum Würstelstand zu gehen und ihn an unserem Wohlstand teilhaben zu lassen. Es schmeckte ihm und er aß gleich zwei Käsekrainer und redete davon, dass wir nicht glauben sollten, er sei immer ein Sandler gewesen. Er sei ein guter Schüler gewesen und er habe eine tolle Frau gehabt - aber die Reiselust hatte ihn besiegt. Er heuerte auf einem Schiff an und bereiste die Meere. Das Leben war wie ein Rausch gewesen. Als er in den Heimathafen zurückkehren wollte, war es zu spät. Die Frau war weg, die Heimat wirkte fremd und nur der Rausch war ihm treu geblieben.
8: Meine Nacht mit einem Star.
Es war eine meiner ersten Nächte in einer echten Stadt gewesen und der Alkohol hat die Erinnerung an die ersten zwei Drittel der Nacht wie weggewischt. Ich weiß nur noch, dass wir irgendwann zu dritt waren - ein Star, eine schöne Frau und ich. Die Welt lag ihm zu Füssen und wir taten es auch. Ich kannte seinen Namen aus dem Fernsehen und dem Radio und sie war bereit zu allem und er predigte für uns und schmiß die Runden: er weihte uns in die Geheimnisse seiner Karriere ein und warum alles noch besser werden würde. Immer wieder tauchten attraktive Gestalten meist weiblicher Natur auf und fassten ihn an, leicht besitzergreifend und anhimmelnd. Er war das Schatzi und er war ganz oben und wir schwammen auf der Laune seines von ihm bezahlten Sekts mit. Am Ende brachte er mich heim und dann fuhr er mit ihr zu ihr und man konnte spüren, wie sie morgen fünf Sterne in ihr Tagebuch schreiben würde - für eine Nacht mit einem Fünf-Sterne-Star der Stadt.
Das ist 17 Jahre her und 2 Jahre ist es her, dass ich ihn wiedersah. Er trug ein ähnliches Sakko wie damals, nur es schien kleiner geworden. Seine Augen drehten sich und er lehnte an der Wand, die einzige, die ihm Halt gab. Er war doppelt so besoffen wie damals und nicht einmal ein Zehntel so begehrt und plötzlich fiel mir auf, wie klein er war - das heisst, erst nachdem ich mich erinnert hatte, wer er war. War da nicht mal eine Notiz wo gewesen, dass er sich im Einvernehmen von seinem Ruhmgeber getrennt hatte? Er sah mich an und doch hindurch. Es heisst immer:
Man solle immer alle grüßen am Weg nach oben, den am Weg nach unten kommt man an ihnen vorbei. Er hatte sie am Weg nach oben alle gegrüsst. Nur am Weg nach unten sah er sie nicht mehr.
Frei nach Falco war er 1988 ausgegangen und noch nie heimgekehrt. Doch die Bilder vor seinen Augen waren noch Jahrgang 1990 und wenn er sie ganz nah vor sein Hirn hielt, verdeckte es für einen Augenblick die Sicht darauf, wie sehr sich die Welt hinter dem Bild verändert hatte. Und das keiner mehr in seinen Augen versank.
Jimmy Trade - 6. Mai, 23:29